Für die lange Busfahrt an den Tanasee sind wir um halb vier aufgestanden. Die nächtlichen Straßen sind noch leer, aber auf der Allzweckfläche Meskal Sqaure herrscht Hochbetrieb. Morgens ist ihr Zweck nämlich Busbahnhof. Wieder ist der Transport gespenstisch gut organisiert. Aufgestellte Schilder zeigen an, wo welcher Bus hält, die Passagiere werden von Kofferträgern in eine saubere Reihe gebracht. Irgendwann kommt der Bus und mit vielfachem Prüfen der Tickets wird das Gepäck verstaut und wir eingelassen. Wir haben den angeblichen Edelbus "Salembus" gebucht, aber besonders toll ist er nicht.
Als wir endlich losfahren, ist es noch stockfinster und die leeren Straßen der Stadt liegen schnell hinter uns. Im Bus ist es eisig kalt. Bei den Temperaturen ist es nicht klar, ob die Wahnsinnigen eine Klimaanlage benutzen oder es einfach nur zieht. Wir haben den Anfängerfehler begangen ohne Polarausrüstung in einen Bus zu steigen und frieren ein paar Stunden.
Am Entoto vorbei gelangen wir auf ein Hochplateau, dem wir bis Bahir Dar folgen. Überall werden Felder bestellt. Bis zum Horizont sehen wir das helle Gelb geschnittenen Strohs auf der kaffeepulverbraunen Erde.
Im Bus laufen einheimische Musikvideos. Das schien anfangs eine wirksame Desensibilisierungskur zu Beginn der Reise zu sein. Doch Hypno-TV lässt keinen Blick aus dem Fenster mehr zu. Ohne zu blinzeln starren wir auf die immer gleichen Videos von Schultertänzern in wechselnden Kutten. Es ist unmöglich ohne Zeitmesser die Länge eines Lieds zu bestimmen. Drei Minuten? Dreißig Minuten? In beiden Fällen dürfte die Partitur in vier Takte passen.
Nach ein paar Stunden gibt es eine Pinkelpause mit Aussicht aufs Niltal. Die Männer schlagen sich links vom Bus in die Büsche, die Frauen rechts.
Nach der Mittagspause werden anstelle der Musikvideos Sketche gezeigt, bei denen der Witz offenbar daraus besteht, dass ein rückständiger Dörfler mit hoher Stimme schreit und offenbar dumme Sachen sagt. Der ganze Bus lacht. Die Lautstärke geht an die Substanz.
Nach fast zehn Stunden werden wir endlich in Bahir Dar erlöst. Die Jungs vom einfachen "Mahunie Guesthouse" holen uns mit der Rikscha ab. Im Innenhof stehen Mangobäume und Kaffeesträucher.
Wir spazieren zum Tana-See, dem Grund unseres Stopps. Hier ist es deutlich wärmer als in Addis. Die breite Uferstraße ist mit Palmen gesäumt und der Mittelstreifen hübsch bepflanzt. Zusammen mit hupenden Rikschas und Moskitos, die uns bei einem St.George-Bier zum Sonnenuntergang die Knöchel zerfressen, kommt schnell Urlaubsstimmung auf. Man glaubt kaum, dass man sich auf fast 2000m über NN befindet. Doch die Nacht fegt das milde Klima schnell fort.