Der Tag des Aufstiegs hat sehr früh begonnen. Gegen fünf haben wir das Lager unter klarem Sternenhimmel verlassen. Der erste Teil ähnelte dem gestrigen Marsch, nur auf den kleinen Lichtkegel der Stirnlampe begrenzt. Unser Führer hat ziemlich Gas gegeben, weil es heute insgesamt 8-9 Stunden (nach seiner optimistischen Schätzung immerhin 7h) werden sollten. Schon nach kurzer Zeit begann die Dämmerung und die Landschaft setzte sich mehr und mehr zusammen. In den Bächen fließt glasklares Wasser, mit dem wir unsere Flaschen auffüllen konnten. Nach einer Stunde endete der Pfad in einer steilen Bergflanke voller großem Geröll.
Leider war das der richtige Weg. Denn anschließend mussten wir eine weitere Stunde steil bergauf kraxeln, bis wir ein Plateau auf 4700m erreicht hatten. Etwas frustrierend war das nette ältere Ehepaar, das uns fröhlich plaudernd in Straßenschuhen verfolgt und anschließend überholt hat. Als wir uns ächzend die nächsten hundert Höhenmeter heraufgeplagt hatten, waren die beiden schon da und haben Spaßfotos gemacht.
Die nächste Etappe ging über eine gigantische Platte. Hier war vor zehn Jahren noch der Gletscher und hat den Stein in unendlicher Mühe glatt geschliffen. Heute ist dieser Bereich komplett abgetaut. Die Steigung war zwar gegen den Geröllhang moderat, aber die Höhe hat hier schon begonnen ihren Tribut zu fordern. Auf der anderen Seite des Plateaus kamen weitere wüste Täler und Berge ins Blickfeld. Unser Gipfel ist nur einer unter mehreren Dutzend, und auch nicht der höchste. Nach insgesamt drei Stunden, in denen die Schrittlänge von normalem Austreten schon auf knappe Fußlängen geschrumpft ist, kamen wir keuchend am Rand des Schneefelds an, das den Gipfel umgibt.
Die wohlverdiente Pause haben wir zum großen Teil damit verbracht die vorsintflutlichen Steigeisen anzulegen. Spätestens bei der Anprobe am Vortag hätte uns klar werden müssen, dass die Sache anstrengend werden würde. Aber der letzte Teil, der dann folgte war ein nicht enden wollender Selbstversuch in Erschöpfung. Nach mehrmaligem Neuschnüren haben wir uns angeseilt und haben die steile Flanke zwischen dem Gipfel und dem berühmten "Pulpito del Diablo" in Angriff genommen. Letzterer ist ein fast 100m hoher Felsen, der mit seinen komplett senkrechten, nackten Wänden und einer rechteckigen Grundfläche unnatürlich aus dem Schneefeld herausragt.
Unter schwerem Keuchen ist unsere Seilschaft in Trippelschritten an den lachenden Alten vorbei, die hier noch ein paar lustige Videos gedreht haben. Alle paar Schritte ging uns die Puste aus und wir mussten unseren Führer stoppen. Selbst die Kamera zu heben und Fotos zu schießen wurde zur brutalen Anstrengung. Alles, was den Atemrhythmus durcheinander bringt, kostet Energie. In dem makellosen Weiß des Gletschers ließ die eingetrampelte Spur unserer Vorgänger erahnen, wie steil es weiter ging. Hinter dem Pulpito öffnet sich zur linken ein phantastischer Blick auf die "Laguna Grande de la Sierra" und die umliegenden Gipfel. Doch die Lunge wollte nicht mehr schwärmen und staunen. Zur rechten führten die Fußstapfen viel zu steil hinauf.
Zum windumtobten Gipfel führt ein schmaler, steiler Grat. Die Eispickel, die wir bis dorthin nur zum abstützen brauchten, mussten wir an einer treppenartigen Stelle tief in den Schnee schlagen, um uns hochziehen zu können. Über mehrere solcher Treppen und mit vielen Pausen haben wir schließlich die Wechte erreicht, die den Gipfel in 5100m Höhe überzieht. Einige kurze Sekunden lang, konnten wir unter dem dunkelblauen Himmel den hart erkämpften, süßen Moment genießen, wo alles um uns herum niedriger war. Kein Schritt höher war mehr zu gehen. In den Spalten im Schnee funkelte hellblau das Eis und rund herum konnten wir Wolken unter uns her ziehen und über der grandiosen Landschaft von El Cocuy sehen.
Dann hat der Führer uns von der Kuppe gescheucht und wir haben uns an den Abstieg gemacht. An den steilen Treppen gab es Stau beim abseilen, danach war es wieder unsere eigene Lunge, die die Geschwindigkeit, oder besser die Langsamkeit bestimmten. Über drei Stunden hat uns der Auf- und Abstieg über das Schneefeld gekostet. Dass wir nur so langsam an Höhe verloren, hat an den Kräften gezehrt. Das freigelegte Gletscherplateau war zwar leicht zu gehen, ging aber mit seiner permanenten Neigung schon sehr in die Knie. Das Geröllfeld hat uns dann den Rest gegeben. Wobei es erstaunlich war, wie viele Menschen hier waren. Ganze Familien, die "nur" bis zum Rand des Gletschers spaziert sind, kämpften sich die Steine hinab, die vom Plateau aus senkrecht abzufallen scheinen. Nach weiteren zwei Stunden und ingesamt etwas unter 10 Stunden hatten wir endlich unser Zelt erreicht.